1.
Die offenbar weitverbreitete Ansicht, daß es mit der Uneinigkeit und sozialen Torheit der Antiquare schlimm bestellt sei und ihnen vernünftiges, vor allem zielgerichtetes Handeln als Berufsgruppe nicht zuzutrauen wäre, stimmt mich traurig.

Fachlich hält man uns durchweg für sehr kompetent, unser kulturelles Image ist oft besser, als wir es verdienen. Hier sprechen wir aber im Gegensatz dazu von der Beurteilung unserer beruflich-gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit.

Ernstzunehmen ist das verheerende Image unseres Berufsstands in dieser sozialen Hinsicht vor allem dann, wenn die Urteile von Fachleuten aus ähnlichen, benachbarten Fachbereichen und von ausgewiesenen Experten herrühren.

Was wir selber dazu meinen, ist dagegen tiefer zu hängen, denn einmal sind wir natürlicherweise betriebsblind im eigenen Hause und blicken oft nicht über den Tellerrand der jeweiligen Schicht hinaus, der wir innerhalb des Antiquariats angehören. Ein Ladenantiquar in der Maximilianstraße hat wenig Ahnung von den Sorgen der Internet-Kollegin und Großkistenmatadorin am Kaiserstuhl, Fachantiquare für Mathematik und Physik bringen einem Allroundversteigerer mit Massenbetrieb ebensowenig Verständnis entgegen wie dem Graphikhändler weit draußen in der Märkischen Heide.

Wenn aber Verlagsexperten beim Börsenverein oder Verkaufsspezialisten für Internetportale unsere Berufsgruppe als notorisch handlungsunfähig und zerstritten bis zur völligen Lähmung einschätzen, so tun wir gut daran, das als mehr oder minder gutgemeinte, jedenfalls aber heilsame Mahnung zu verbuchen, als Tadel, mit roter Schrift in unser Deutschheft eingetragen.

Ich habe durch Randbemerkungen wie vor Jahren die des Kollegen Hohmann über die Haltung des Börsenvereins zu den Antiquaren oder die jüngste Einschätzung eines Schweizer führenden Edelware-Fachmanns zur absoluten Sinnlosigkeit beruflicher Reorganisationsversuche im deutschen Antiquariatsbereich mehr gelernt als durch viele lange Analysen, die sich fleißige Antiquare abgequält haben. Auch die in ihrer Kürze vernichtende Berichtigung Axel Gronens zum vorletzten Blogbeitrag macht mich nachdenklich.

Sind wir wirklich de facto handlungsunfähig?

2.
Jene Satire, die der letzte Blockbeitrag darstellt, ist ein Versuch gewesen, eine trockene und schwer verdauliche Situationsanalyse zu vermeiden und dem Leser komplizierte Verhältnisse als unterhaltsamen Stoff nahezubringen. Ich halte den Text für sehr wichtig und bedauere es, daß seine Botschaft nicht herübergekommen ist. Aber besser kann ichs nicht bringen.

Wir sprachen oben von den Blicken des Nachbarn in unseren eigenen Garten, die oft sachkundiger sind als unser eigenes befangenes Urteil. Das gilt nun auch für meine Einschätzung, daß wir es im Kern um einen Angriff von Amazon gegen den etablierten N e u - Buchhandel und die anderen Neubuchversender zu tun haben. Es ist durchaus noch offen, ob Amazon nicht auf längere Sicht zu einem wohlwollenden, gütigen Patron der Antiquare werden möchte. Durch die Quasi-Monopolisierung des deutschen Lesemarktes im Altbuchbereich werden solche Imagemaßnahmen sehr erfolgreich durchzuführen sein.

"Das deutsche Antiquariat i s t Amazon".

Dadurch würde der immer noch etwas kulturlos eingeschätzte Neubuch-Riesenversender Amazon im deutschen Kulturbetrieb quasi über Nacht zum buchkulturellen Großmeister, zur Hochburg der Lesefeinschmecker, zum Bewahrer der Kulturgüter des alten Buchs.

E i n Feuilletonbeitrag der FAZ wiegt hunderttausend Euro Werbegelder auf, wenn dadurch klar wird, daß "Amazon das deutsche Antiquariat i s t".

Handelt es sich also um den beabsichtigten M i ß b r a u c h des Antiquariats im deutschen Lesebereich als kulturelles W e r b e v e h i k e l zugunsten der weiteren, vertieften Eroberung des deutschsprachigen Neubuchvertriebs durch Amazon? Ich habe da gar keinen Zweifel. Die Regeln der Imagepflege und Imagewerbung im Kulturbereich sind leicht zu durchschauen und einfach gehäkelt, zwei rechts, eine links, abnehmen, zwei rechts...

Wenn das so ist, dann können wir Antiquare uns ja beruhigt zurücklehnen. Denn wir werden ja offenbar gebraucht, und geht der Bauer mit seinen nützlichen Tieren nicht pfleglich um?

Leider wäre diese Annahme kurzsichtig. Sehen wir näher hin: Der deutsche Antiquariatsmarkt ist nur darum so gut verwendbar für Amazon, weil Amazon da ein Quasi-Monopol erhalten kann. Sinn hat das aber imagemäßig nur dann, wenn die deutschen Antiquare f o l g e n. Sie dürfen keine Aufmüpfigkeiten, keine destruktiven Aktionen, keine Medienaktionen starten, die

das Amazon-Abebooks-ZVAB-Spiel, le Grand Jeu,

demaskieren könnten.

Folgsame Antiquare erzielt Amazon nur, wenn es sie d i s z i p l i n i e r t. Das Rezept dazu heißt Zuckerbrot und Peitsche. Wie die Landlords vor 200 Jahren in der irischen Tragödie weiß Amazon, daß nur hungrige Antiquare gehorsame Antiquare sind. Erst d i e Wohltat wird dankbar angenommen, die gegen Armut, gegen Zwangslagen und Bedrückungen kontrastiert. Also werden die Antiquare - unfähig, sich gegen das Monopol zu wehren - nach einer ganz kurzen Betüttelungsphase, siehe den letzten Beitrag, eine Zeitlang brutal geknechtet. Dann, aber erst dann erhalten sie fein dosierte Wohltaten, die, wir sagten es schon, in die absoluten P a t r o n a g e von Amazon über das deutsche Antiquariat einmünden.

Wir werden uns bald nach den ZVAB-Tüten zurücksehnen - denn in der Endphase werden wir, "zu unserem Besten", auf Gedeih und Verderb von Amazon "besorgte" Antiquare sein, denen es recht gut geht, weil sie, solange sie, ihrer Freiheit beraubt und zu Wickelkindern des Amazonkonzerns degradiert sind.

3.
Noch ist es nicht zu spät. Gerade weil ich die Strukturen unseres Gewerbes kenne und skeptisch einschätze, sage ich: Es gibt n o c h eine Chance. Sie läuft, in der einen oder anderen Form, über meine Idee eines niedrigschwelligen Gesamtvereins, der die eine einzige Aufgabe hat, Träger der selbständigen Verkaufsdatenbank zu sein.

Und was für eine Datenbank man wählt, ist im Grunde eine zweitrangige Frage. Welche Nebel die Gehirne der jetzigen Chefs der genossenschaftlichen Datenbank umwölkt, sodaß wir immer noch nicht ihr neues Gesamt-Aktionsprojekt vorgelegt bekommen haben, das weiß der Kuckuck. Wenn es so zugeht dort, wie ich befürchte, dann sind die Zustände bei der Leitung eher k a f k a e s k . Sollte das der Fall sein, würde ich Herrn Wiesler aufrufen - machen Sie dann eben Ihre Datenbank zur neuen unabhängigen Bücherportal.

Warum wird das nicht diskutiert?

Deshalb eine ganz schüchterne Frage zum Schluß - wie kommt es nur, daß der Börsenverein ausgerechnet jetzt die Kommentarspalten schließt?



Liebe Alice Schwarzer, nein, das Bild "Römischer Sklavenmarkt" ist nicht jugendpornographisch. Es trägt den Untertitel "Das Amazon-Management bei der Musterung des soeben eingekauften deutschen Antiquariats"

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