Einstweilen sehen Sie von der kommenden ANTIQUARIATSZEITUNG nur das Herzstück, den nach Möglichkeit täglich erscheinenden Meinungsbeitrag aus der Feder des Redakteurs. Die Blogform soll aber nur ein Übergang sein hin zu einer kleinen Gewerbe- und Kundenzeitung.

Wir wollen auf dem Erdboden bleiben. Komplizierte Analysen, mit Fremdwörtern und Schachtelsätzen überladen, nützen dem Antiquar ebensowenig wie allzu persönlich gefärbte Diskussionen. Aber es ist auch wenig gewonnen mit den derzeit so beliebten Berichtsfeldern, den womöglich automatisch generierten Branchenfachdiensten, die durch ihre Unordnung die Vorstellung eines Chaos hervorrufen, durch das sich niemand kämpfen mag.

Mit der Esoterik des Antiquariats haben wir es auch nicht. Dafür gibt es Bibliophilenblätter und allerlei hochgestimmte Kollegen- und Sammlerblogs. Der Antiquar, seufzend unter seiner höchst prosaischen Tagesarbeit, neigt ja dazu, die spärliche Freizeit für anspruchsvolle Kunst- und Geistesbetrachtungen zu verwenden. Die Ergebnisse sind, man verzeihe mir, oft nicht recht herzeigbar. Schreibenden Chirurgen und Kernphysikern geht es auch nicht anders.

Der führende Branchendienst, das Börsenblatt, Sparte Antiquariat, hält sich bewußt knapp, bietet eine wichtige Grundlage, läßt den Leser aber meist ungesättigt zurück. Händler wie auch Sammler haben Lust auf mehr.

Diese Zusatznahrung wollen wir ihm bieten. Die Domain der neuen Gewerbezeitung läuft mit Rücksicht auf die Antiquare in Österreich und in der Schweiz unter www.antiquariatszeitung.com, ich bitte den Titel aber auch in Deutschland zu respektieren.

Nun stellen Sie sich bitte ein recht übersichtliches Zeitungsfeld mit mehreren Spalten vor; rechts oben, am klassischen Kommentarplatz, lesen Sie den ersten Meinungsbeitrag.

***


Ein freundliches Monopol und seine ahnungslosen Opfer
Die Antiquare des deutschen Sprachbereichs im Würgegriff des Weltkonzerns "Amazon"


1.
Die Fakten dürfen als bekannt vorausgesetzt werden. Vor zwei Jahren kaufte Amazon Abebooks, die international führende, hochangesehene Verkaufsdatenbank für gebrauchte Bücher. Abebooks durfte offiziell separat weiterarbeiten, bei näherem Hinsehen aber wurde Abebooks, wie sollte es anders sein, vielfältig verknüpft mit Amazon. Nun kaufte Abebooks gestern das ZVAB, die traditionsreiche und neben Abebooks immer noch bedeutendste Verkaufsdatenbank für alte Bücher im deutschen Sprachgebiet.

Das etwas verwirrende Bild läßt sich, von Milliarden- nach Millionenumsätzen herunterwandernd, am besten darstellen mit drei Fischen, die sich nach Größenordnung auffressen: Der Haifisch Amazon frißt gerade den Hecht Abebooks, gleichzeitig frißt Abebooks nun die Forelle ZVAB.

Man muß mit Schätzungen vorsichtig sein, darf aber, auch mit Hilfe der nützlichen w+h-Statistik, derzeit von einem 75 %-Anteil der neuen Super-Mutti Amazon-Abebooks-ZVAB am Altbuch-Internetverkauf im deutschen Sprachgebiet ausgehen. Dieses monopolartige Ergebnis wird noch weitaus düsterer, wenn man berücksichtigt, daß Ebay (10-15 % Marktanteil) in seiner Büchersparte nur bedingt vergleichbar ist mit ZVAB/ Abebooks und daß die kleinen, verbleibenden Portale den Markt strukturell, von ihrer Bekanntheit her, bisher nicht durchdringen konnten.

Für den Antiquar, der vom Altbuchverkauf leben muß, bedeutet dies, daß er keine echte Ausweichmöglichkeit hat und dem Kombi-Monopol der beiden Amazon-Töchter ausgeliefert ist - quasi zu 100 %.

Um gleich eines klarzumachen: Die deutsche Monopolbehörde wird nicht eingreifen können. Ich hatte, durch einen auch heute noch geheimzuhaltenden Berliner Kollegen mit internen ZVAB-Dokumenten versorgt, vor etwa acht Jahren ein Monopolverfahren gegen das ZVAB angestrengt. Das ZVAB war damals, eigenen internen Aussagen zufolge, bei über 80 % Marktbeherrschung gewesen (wenn ich mich recht erinnere) und Ebay spielte noch gar keine Rolle. Trotzdem kam das Verfahren nicht in Gang.

Also gibt es heute keine reale Chance, daß in Berlin anders entschieden würde, denn nun kann Ebay als Entlastungsgrund herangezogen werden. Es wird ein Ding der Unmöglichkeit sein, der Kartellbehörde klarzumachen, weshalb Ebay als Bücherportal den anderen Portalen nicht vergleichbar ist. Durch solche Klagen verliert man nur Zeit - Zeit, die wir nun dringend anders brauchen und nutzen müssen.


2.
Als Abebooks durch Amazon geschluckt worden war, hatte ich als einsamer Rufer in der Wüste seitenweise und, wie es so meine Art ist, höchst dramatisch davor gewarnt, daß nun natürlich Amazon über Abebooks auch das ZVAB kaufen - und so das Monopol für den Buchabsatz im deutschen Sprachbereich erlangen werde. Man kann das mit einiger Geduld auch im Kommentarteil des Börsenblatts nachlesen.

Zur Kenntnis nehmen wollte das niemand.

Die Antiquare verstopften ihre Ohren vor den Mulzerschen Warn- und Sirenengesängen. Ich sagte ihnen, es gebe nur ein zeitlich beschränktes Fenster, in dem n o c h Gegenmaßnahmen möglich seien - würde das ZVAB erst einmal wie Abebooks von Amazon aufgekauft sein, dann wäre es zu spät zu irgendwelchen Abwehrmaßnahmen.

Nun ist es soweit, die Situation ist da, das Kind ist in den Brunnen gefallen.

Ich hoffe, daß wir hier nicht die üblichen Vertuschungsmaßnahmen im einzelnen aufdröseln müssen, denen ZVAB und Abebooks nun unterworfen werden, demnächst in diesem Theater. Solches ist auch gar nicht ehrenrührig, jeder, Du und ich würde als Portalbesitzer nicht anders handeln. Denn ZVAB und Abebooks bedienen nicht nur teilweise separate Kundensegmente, viel wichtiger ist das unterschiedliche Image der beiden. Ich führe das hier nicht näher aus.

Also wird man einige Zeit beide Töchter separat laufen lassen, aber gerade nur solange, bis die beiden Images und die Kundensegmente zusammengeführt werden können. Denkbar ist auch ein Vorziehen der längst fälligen Verschmelzung mit Amazon. Wie auch immer, am Ende gibt es nur noch einen Riesenwal mit Namen Amazon, der sowohl Alt- als auch Neubücher frißt und noch vieles andere mit. Die Maßnahmen, mit denen das durchgeführt wird, können uns dann im Nachhinein belustigen, denn ohne einige Verlogenheit geht das nicht ab. Ich sehe das aber, um es zu wiederholen, ganz wertfrei, moralische Einschätzungen sind hier nicht am Platz - anders läßt sich die Verschmelzung der zusammengekauften Töchter einfach nicht durchführen. Das sind diffizile Werbe- und Imagefragen.

3.
Nur zögernd bringe ich nun jenes Kapitel Theorie, das keiner der werten Kollegen je begreifen wollte, so oft ich es auch ausgebreitet hatte. Ich meine die Abschottung des deutschsprachigen Altbuchmarkts von den Weltsprachen Französisch und Englisch. Im Weltmarkt gibt es immer Auswege und Hilfsmittel, kein Monopol kann wirklich greifen im Feld der erdumspannenden Weltsprachen.

Anders mit unserem strikt und fast ausnahmslos auf Deutschland, Österreich und die Schweiz beschränkten Lesemarkt. Es gibt für uns keinerlei Auswege - wer im deutschen Altbuchmarkt ein Quasimonopol hat, den kann man von einer gewissen Stufe ab nicht mehr bekämpfen. Es gibt für uns keine Auswege, keine Bündnisse, keine Märkte in der Welt, nur unser deutsches Sprachgebiet.

Ich hatte mit einiger Häme auf die beflissene, aber völlig sinnlose und absurde Einbeziehung italienischer, spanischer, französischer Bücher in die kleineren deutschen Altbuch-Portale reagiert und halte das auch heute noch für eine Art antiquarischer Hamsterrädchen-Therapie: Keine Seele kauft ein italienisches Altbuch bei uns, und selbst antiquarische Bücher aus dem englischen Sprachbereich machen den Braten nicht fett. Wenn wir vom internationalen Feld bibliophiler Spitzenware absehen, dann dümpeln fremdsprachige Umsätze im Antiquariat unter 5 % vor sich hin. Das sind Größen, die vernachlässigt werden können.

Wir haben also im deutschen Buchbereich, Abteilung Antiquariat, eine ganz fürchterliche, völlig ausweglose Situation, wenn es um Monopolfragen geht. Es ist wichtig, dies im Hinterkopf zu haben, weil kein ausländischer Antiquar uns versteht, wenn wir ihm das nicht erst einmal klargemacht haben.


4.
Die Übergangszeit, die Amazon zur Zusammenführung von ZVAB und Abebooks benötigt, ist unsere letzte Chance, um die Monopolisierung noch aufzuhalten. Es ist die a l l e r l e t z t e Chance.

Ich habe mir nun überlegt, wie diese Zeitspanne genutzt werden könnte.

Die allgemeinen Voraussetzungen sind bekannt, die unser Gewerbe bestimmen. Da ist zunächst einmal die qualitative Staffelung vom einfachsten Kistenschieber und Flohmarkthändler bis zum esoterischen Messe- und Versteigerungsexperten, vom Allgemein- bis zum Fachantiquar, vom Ladenhandel bis zum reinen Internetverkäufer. Diese unendlich verwickelten Strukturen, auf deren Berücksichtigung überempfindliche Kollegen stets mißtrausch drängen, machen jedes gemeinsame Handeln fast unmöglich. Nicht einmal innerhalb der Schichten herrscht Solidarität. Ich kann mir kein anderes Gewerbe vorstellen, das ähnlich zerstritten ist, vom Kunsthandel vielleicht abgesehen - dort geht es ähnlich zu.

Also muß jede Planung diese innere Zerklüftung berücksichtigen. Ich kann verstehen, wenn das Börsenblatt versucht, eine freundliche Wohltemperiertheit sich selber und den Lesern vorzugaukeln, aber der Versuch ist von rührender Vergeblichkeit. Die Antiquare sind kein Berufsstand, sondern eine Schar sensibler Oberprimanerinnen um 1900 nach dem ersten Ball, gegeneinander und miteinander je nach Stimmung, Eigeninteresse, Laune und Vorurteil handelnd. Von den unterschiedlichen Bildungsständen ganz zu schweigen.

Ich gehe von folgenden Grundgedanken aus:

Qualitative Verbesserungen der Titelaufnahmen bringen wenig. Sie sind wünschbar, der Kunde merkt das aber kaum. Eher schon würde ein verstärktes Scannen, ein Fördern der Bebilderung manches bringen, aber alle Veränderungen dieser Art wirken sich nur langfristig aus. Diese Fristen haben wir nun nicht mehr.

Preisaktionen nützen auch nichts. Selbst wenn in einer kleinen Datenbank "alle Bücher 10 % billiger" angeboten würden, wäre der Mehrabsatz minimal, der Werbeeffekt eher gering. Wir düfen da nicht von Maßnahmen, die im Einzelgeschäft oder auf Messen recht wirkungsvoll sein können, auf einen ganzen Markt schließen.

Es bleibt uns nur ein I m a g e - Feldzug, der in seiner Schlagkraft die Monopoltendenz der nun entstandenen Abebooks-ZVAB-Amazonkrake e n t l a r v t und die Monopolisierung b e n e n n t.

Jetzt dürfen wir, wenn auch ähnlich hilflos wie die weinende Hexe auf dem Karren, der sie zum Scheiterhaufen führt, vor aller Welt ausrufen, daß ein Monopolist im deutschen Lesebereich entstanden ist, daß sich ein ganzes Gewerbe im Würgegriff einer Firma befindet.

Nun kann man aber mit Negativwerbung nur wenig erreichen. Wie, so sollten wir uns jetzt fragen, können wir den Sachverhalt ins Positive wenden und argumentativ eine helle, freundliche Botschaft herüberbringen, die im Kunden die gleiche Überzeugungsarbeit leistet wie eine flammende Anklage, die negativen Aspekte einer Jammer-Werbung indes vermeidet?

6.
Die Antiquare müssen jetzt endlich, angesichts der drohenden Gefahr, als Gesamtheit, als Berufsgruppe einheitlich auftreten.

Ich sehe folgenden Weg: Die Genossenschaftsdatenbank ist portaltechnisch und graphisch ganz ordentlich. Jedenfalls taugt sie aus dem Stand dazu, als neues Gemeinschaftsportal adoptiert zu werden.

Von der Genossenschaftsdatenbank muß also ausgegangen werden. Vermutlich sollte sie für die vorgeschlagene Aktion ein weiteres Mal umgetauft werden, das ist aber nicht zwingend.

Die Datenbank, deren juristische Nöte als Genossenschaft offenkundig waren, wird auf eine vernünftige Weise überführt in einen V e r e i n oder doch mit einem Verein assoziiert.

Als Mitglied in diesem Verein können/sollen alle Antiquare A n t e i l e an der Datenbank erwerben. Die Anteile können jeden Betrag zwischen 5 Euro und "unbegrenzt" umfassen.

Es geht also n u r darum, daß j e d e r Antiquar Mitglied im Verein ist und einen Anteil an der Datenbank besitzt, wie groß er auch sein mag.

Dann nämlich können wir damit werben, daß sich die neue Datenbank/ das Verkaufsportal im Besitz aller oder doch sehr vieler Antiquare befindet. Wir dürfen dann werben damit, daß es

"Das Verkaufsportal der deutschen... Antiquare" ist.

7.
Dieses neue Gebilde versieht man dann mit allen nur denkbaren Werbe- und Imagemaßnahmen.

Ich halte ein solches Vorgehen für erfolgversprechend, weil die Akzeptanz eines Bücherportals heute, anders als noch zu Heinisch' Zeiten, nur und nur und nur eine Frage des Images ist. Durch die Wendung der (negativen) Anklage gegen das neue Monopol in ein (positives) Gemeinschaftsbild derjenigen Datenbank, die allein im Besitz der Antiquare ist, und zwar möglichst "aller", wird eine Mélange aus

*David gegen Goliath

und

*Wikileaks gegen die USA

geschaffen - vermutlich unsere lezte Chance.



Nachschrift: Eben lese ich mit leiser Rührung den "Zeitfenster"-Meinungsaufsatz von Redakteur Biester aus 2009, siehe seinen Link gestern im Börsenblatt. Der Ausbau unserer Web2-Strukturen, vor allem die Verbundidee der Kollegenwebseiten, wäre tatsächlich eine echte Chance gewesen. Was ist denn nur aus den 15 RFMeyerschen Antiquaren vom "Webseitenbündnis" geworden, um nicht zu sagen: Welcher Teufel hat sie geritten, daß sie die gute Grundidee so schmählich verlassen und verraten haben?

Für solche Maßnahmen aber ist es nun zu s p ä t. Man muß jeden warnen, der noch immer glaubt, gegen die kommende Super-Datenbank hätten einzelne Webseiten noch eine echte Chance. Es tut weh, diese Idee jetzt beiseite stellen zu müssen, abr es führt, so meine ich, kein Weg daran vorbei: Entweder jetzt blitzartig die Gegen-Datenbank aller Antiquare aufstellen - oder die Schlinge zieht sich zu.

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen