Das Börsenblatt entwickelt sich in seinem Netzteil, Abteilung Antiquariat, einmal mehr zur Hauszeitschrift der Edelantiquare.
Das darf man ja ruhig tun, nur sollte man dann Flagge zeigen, sich dazu bekennen.
Der Begriff des "Edelantiquars" wurde von mir einst in der Hess-Runde, Gott hab sie selig, geprägt, um die merkwürdige Schichtenstruktur unseres Gewerbes besser verstehbar zu machen.
Es gibt im deutschen Sprachbereich etwa 800 - 900 Antiquare, die von ihrem Gewerbe leben müssen. Auf diese wie auch auf die folgenden Zahlen hat man sich halbwegs geeinigt in der Diskussion; genauere Ziffern hat niemand, was für sich genommen schon eine Menge aussagt über unsere Berufsvertretungen.
Die oberste Schicht umfaßt, neben einigen Versteigerungshäusern und Handschriften-Antiquaren, die beide eigentlich nicht zum klassischen Buchantiquariat zu zählen sind, etwa 50 - 80 Antiquare. Wir sprechen von den "Edelantiquaren" in jenem ironischen Ton, den sie sich aus der Sicht der gut 700 anderen Kollegen verdient haben durch ein seltsam salbaderndes, hochtrabend-würdiges Wesen, durch ein elegantes Kungeln mit kulturellen Versatzstücken, durch eine eigene Sprache.
Wer je auf einer der besseren Messen war, weiß, was ich damit meine. Es sind, mit wenigen Ausnahmen, nur diese Antiquare, die Listen und Kataloge herausgeben, die auf Versteigerungen im Kundenauftrag mitsteigern. Es gibt sympathische Gestalten unter ihnen, aber ein teils peinliches, teils leicht amüsiertes Grinsen überkommt den Beobachter von außen, wenn er sie bei ihren Auftritten als "Kulturträger" beobachtet.
Unter ihnen sind exzellente Fachleute, aber bei näherer Bekanntschaft überwiegen, wie sollte es anders sein, auf engsten Raum begrenzte Fachkenntnisse, die mitunter nicht über das Wissen einer Marktfrau hinausgehen, die ihre Obstsorten - und die Psychologie der Käufer und Verkäufer - bestens kennt. Mehr ist da meistens nicht, bei den helleren Köpfen vielleicht noch jene leise und sympathische Sehnsucht nach den kulturell-künstlerischen Aufgaben, denen man sich eigentlich hatte widmen wollen...
Hier, bei den obersten 50 - 80 Antiquaren, herrscht neben profundem Fachwissen viel Talmiglanz und noch mehr Unaufrichtigkeit. Vermutlich würde ich es in ihrer Lage auch nicht anders machen können - es handelt sich eben um eine déformation professionelle, die man bedauern kann, aber akzeptieren muß.
Für diese Schicht schreibt immer dann, wenn es den Rappel bekommt und dem Hang zum Höheren allzusehr nachgibt, das Börsenblatt (in seinem Netzdienst für Antiquare). Dann wird die Lektüre für die anderen 700 Antiquare sehr öde und läuft unter der Spitzmarke "betrifft uns nicht".
Sagen mag das keiner, denken tun es alle. Man spricht nicht offen davon, weil die restlichen 700 "nichtedlen" Kollegen sehr gern ihrerseits a u c h Edelantiquare wären. Zwar sind wir eingebunden in die fürchterlichste Tagesarbeit, die man sich vorstellen kann, in das serienweise Titelaufnehmen und Datenbank-Einstellen von Büchern, die wir nicht lesen, ja nicht einmal erschließen dürfen (weil wir sonst zugrundegehen müßten, angesichts sinkender Absatzzahlen im Netz und hoher Gebühren bei den Verkaufsportalen).
Diese s e e l i s c h darbenden gut 700 Knechte im Hamsterrad des Katalogisierens irgendwelcher mittelmäßiger Bücher weilen im Traum und immer mal so nebenher im Zauberreich der Edelantiquare, zu denen sie wohl alle gern gehören würden... Wer aber nur träumen darf von einem Ziel, der gibt das ungern zu, denn damit würde er die eigene Mittelmäßigkeit und Erfolgslosigkeit bekennen. Ich gestehe mir das selber auch nicht gern ein.
In Klammern sei bemerkt, daß die 700 Antiquare minderer Qualität vermutlich entsetzt wären, würden sie entdecken, daß es bei den Edelantiquaren, mit wenigen Ausnahmen, eher noch belämmernder zugeht als in den mittleren und unteren Regionen. Wer spricht über Liebedienerei, über Abjagen von Titeln und Kunden, über Ankaufsgier und Verkaufsintrigen, über Angeberei und schamloses Vorspiegeln von in Wahrheit kaum angelesenen Fachkenntnissen?
Das wissen die 700 Antiquare minderer Qualität aber nicht, und die 70-80 edlen Antiquare hüten sich wohl, ihnen das zu sagen.
Ich sage das nicht, um den Edelantiquaren eins auf den Kopf zu hauen. Es geht darum, daß´das Börsenblatt sich immer mal wieder, so auch jetzt, hüten sollte, die 70 - 80 Spitzenkollegen allzusehr bauchzupinseln durch einseitige Themenwahl. Indem sie das tut, verprellt sie vier Fünftel der Antiquare, deren Sorgen nämlich auch da sind, die auch ein Recht darauf haben, von Redakteur Biester behandelt zu werden.
Ein Beispiel sei doch angemerkt, auch wenn ich nicht ins Detail gehen mag an diesem Frühlingstag, sondern einen Spaziegang im nahen Sternwald vorgesehen habe.
Redakteur Biester sammelt mit Vergnügen Fachkataloge und Listen. Er verbirgt sie dann in einem rührend verschachtelten und eo ipso unbenutzbaren Listensystem. Die reine Darstellung nutzt fast gar nichts. Wir müssen erst einmal von dem rührenden Irrglauben, bereits die Nennung, das Bibliographieren von Katalogen bewirke irgendetwas, herunterkommen in die rauhe Wirklichkeit, die uns lehrt:
Ohne Sacherschließung u n d gegliederte Darstellung eben dieser Erschließungsquellen läuft gar nichts, verkauft kein Kollege auch nur ein Buch mehr.
Es ist wie in der großen Frage der Verkaufsdatenbank, die uns dieser Tage bewegt, nur en miniature - wir müssen uns ein S y s t e m einfallen lassen, mit dem der Kataloginhalt erschlossen wird. Auch und sogar im Börsenblatt.
Und es muß die Brücke geschlagen werden zu den gut 700 Antiquaren, die auch da sind, die keine Kataloge, keine Listen machen können oder wollen, die aber auch hochgeführt werden wollen zu den lichten Höhen, in denen die Edelantiquare tafeln und Biesters schönen Reden von Kunst und Kultur, von alten Handschriften und jungen Messeprojekten lauschen dürfen.
Die bayerischen Kapuziner, denen das Foto oben gehört, werden mir doch die Ausleihe des hübschen Bildes verzeihen. Bild wird auf einfache Aufforderung hin entfernt.
Freitag, 11. März 2011
Kleine Kapuzinerpredigt für das Börsenblatt des Buchhandels
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