Lieber Dr. Biester,
mit stiller Verzweiflung lese ich Ihr schönes Verzeichnis der Antiquariatskataloge im Börsenblatt-Netzdienst, und jedesmal wird meine Hoffnung enttäuscht, die dahin geht, daß das Vorhaben inzwischen einer Generalrevision unterworfen worden wäre.
Was tun? Ich will für heute den eingeschlafenen Webseitenverbund des in Dauertrance verfallenen, sonst ja durchaus geschätzten RFMeyer in einen Topf mit Ihrer Katalogverzeichnungsmaschine werfen, geduldig umrühren und sehen, was sich daraus ergibt.
Auf an den Herd!
Ohne einen Exkurs gehts nicht ab. Wer wird denn direkt zum Thema kommen?
Wir müssen, das habe ich schon öfter gefordert, endlich zu einer Standard-Sachgebietseinteilung im Altbuchhandel kommen. Nicht weil ich mir das in den Kopf setze, sondern weil es für viele Bereiche unserer Arbeit als Antiquare sinnvoll und nützlich wäre, wenn wir eine solche hätten. In einem Vorgängerblog hatte ich das schon mal aufgedröselt und war, unter bedingter Zustimmung eines hochgestellten Bibliothekars aus dem Norden, auf ein revidiertes Modell der alten EMZ-Sachgliederung zurückgekommen.
Die Volksbibliothekare waren gar nicht auf den Kopf gefallen, sie entwickelten ihre Modelle aus der täglichen Praxis des Referenten, dem die Besucher Löcher in den Pullover fragen zu allen nur denkbaren Themen der Alltagspraxis und der Theorie.
Wir stellen uns jetzt einfach etwa 200 Sachgruppen vor. Zur Erschließungs(un)tiefe hier drei fingierte Beispiele:
Landbau, Forst, Garten
...Gartenbau, Blumen
...Obstbaum
...Weinbau
...Jagd
...
Schöne Literatur
...Exilliteratur
...Erstausgaben
...Gedicht
...Illustrierte Bücher
...
Militaria
...Napoleon I.
...1. Weltkrieg
...Uniformen
...Luftwaffe
...
Diese Gliederung, auf einem A4-Blatt übersichtlich notiert und mit Nummern 1-200 versehen, halten wir im Geiste fest.
Nun zurück zu Ihnen, werter Herr Biester. Sie lassen jeden neu einlaufenden Katalog scannen. Da die Listen heute, anders als früher, in aller Regel sehr klar gedruckt sind, sollte Scannen und Korrekturlesen keine Mühe bereiten. Oft wird der Katalog aber auch schon in digitalisierter Form vorliegen - um so besser.
Nun kopieren Sie aus jeder Liste diejenigen Listenteile, die zu einem der 200 Sachgebiete passen, und ordnen Sie jeweils übersichtlich unter dem Kopf des anbietenden Antiquariats.
Das Ganze wird ein S a c h v e r z e i c h n i s der angebotenen Bücher.
Dieses beständig erweiterte Sachverzeichnis aus den neuen Katalogen und Listen stellt ein eigenständiges Verkaufsinstrument dar. Da unsere Sachgliederung ziemlich genau den klassischen Sammelgebieten unserer Kunden entspricht - nach denen wird ja auch der typische Volkbüchereireferent gefragt - kann jeder S a c h g e b i e t s - S a m m l e r hier die neuesten Titel seines speziellen Sammelgebiets finden - und bestellen.
Den werten Kollegen, die nun Zeter und Mordio schreien ob der fehlenden "Warenkörbe", möchte ich sagen, daß ihr Warenkorb-Wahn nicht (mehr) den Realitäten entspricht. Sehr viele Kunden mögen es, ja - sie lieben es, wenn sie selbständig über Email Titel von einem Antiquar bestellen dürfen bzw. müssen. Erstens haben sie dann eine gewisse Kontrolle über den Kaufvorgang, vor allem aber verstehen sie dieses Selbstbestellen-Müssen als Chance zu einem direkten Kontakt mit dem Antiquar - virtueller Ladenbesuch mit Einzelbedienung.
Fast alle besseren Kunden - und an die wendet sich ja der Katalogantiquar - haben das Bestellen auf ihrem eigenen Emailsystem heute fest im Griff, das geht fast automatisch. Die Zeiten, in denen der Emailverkehr noch "schwierig" erschien und Warenkorbsysteme dankbar begrüßt wurden, sind vorbei. Das gilt notabene nicht für neue, alltägliche Titel, die bestellt man flugs per Warenkorb. Von solchen Alltagsbüchern reden wir aber nicht.
Daß auf diese Weise nicht jeder verkaufte Titel tagesaktuell nachgewiesen wird, der Kunde also eine Reihe von Ersatztiteln benennen muß, weil er nicht weiß, was schon verkauft ist, sollte nicht nur als Nachteil betrachtet werden - es erhöht das Abenteuer des Bestellens, es macht einen gewissen Reiz aus, der für Sammler der vorelektronischen Zeit ein hochgeschätztes Spannungsmoment war.
Nun gut, wenn das Katalogsammeln beim Börsenverein also dergestalt sinnvoll nutzbar wird, zu einem neuen Arbeitsinstrument - was bedeutet das für den Netzdienst des Börsenvereins? Was bedeutet es für den Webseitenverbund nach System RFMeyer (chr... chr... chr...), was kann es bedeuten in der jetzigen Datenbank-Monopolfrage, die uns allen auf den Nägeln brennt?
Inwieweit kann damit das Listen- und Katalogemachen gefördert werden? Sind Listen ein geeignetes Mittel, um die Portal-Diskussion zu entkrampfen? Ist ein Listen- und Katalogverbund denkbar, Hand in Hand mit einem Webseitenverbund?
Jedenfalls müssen die Listen aufgearbeitet, sozusagen aufgeteilt werden, das zeigt schon ein erster Blick in Dr. Biesters Katalogverzeichnis. Wenn das geschieht, dann erhalten wir ein ganz neuartiges Arbeitsinstrument. Denken wir das weiter, dann könnte jeder Kollege kleine Sachgebietsgrüppchen sammeln und sie direkt an Dr. Biesters neue Einrichtung weiterreichen. An die Stelle des Einzeltitels tritt die kleine Sachgruppe.
Könnte man es hinbekommen, daß generell vom Einzeltitel abgegangen wird, daß in Zukunft statt Einzelbüchern L o s e zu bestimmten Sachgruppen angeboten werden? Will der Kunde überhaupt Einzeltitel erwerben, wäre ihm mit Losen nicht besser gedient?
Würde es nicht möglich sein, daß mehrere Kollegen Titel zu gleichen Sachgruppen gemeinsam anbieten und den Erlös aufteilen? Wie müßte eine solche Einrichtung aussehen? Könnte hier RFMeyers Webseitenverbund (chr..., räusper..., chr...) eine ganz neue Bedeutung erhalten als Clearing- und Verwaltungsstelle gemeinsamer Sachbestände und Angebote? Ist der Schritt von einem "Katalog der 7" (fein voneinander getrennten Kollegen) zu einem echten nur thematisch gegliederten Sammelkatalog denn so weit? Weshalb mußte auch der (krächz..., Mulzer, halts Maul) Sammelkatalog der Edelantiquare nach Antiquariaten getrennt auftreten? Ist das nicht alles umzudenken?
Es ist 00.45 h, ich will jetzt meine Flasche Aldi-Rotwein, möchte die Füße hochlegen - weiterdenken sollen die werten Kollegen.
In diesem Sinne - Guten Abend.
P.S. Wer zufällig die erste Version dieses Beitrags gelesen haben sollte, möge mir verzeihen. Sie war ziemlich albern.
Das Krokodil verdanken wir diesmal www.1001kleurplaten.nl, denen die Urheberrechte am Bild gehören. Eine besuchenswerte Seite! (Bild wird auf formlose Aufforderung hin entfernt)
Posted by:
Peter Mulzer
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